25. April 2023
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Der Gesetzesentwurf des BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Die Presse ist geteilter Ansicht, Arbeitgebervertreter laufen Sturm. Was am Ende von diesem ersten Entwurf übrigbleiben wird, ist noch nicht abzusehen. Wir haben gleichwohl einen Blick darauf geworfen und beantworten erste Fragen.
Arbeitszeit polarisiert. Daran, wie flexibel Arbeitszeit sein darf und wie stark reguliert sie sein muss, scheiden sich die Geister. Die rechtliche Diskussion, welche Gestaltungsmöglichkeiten national bestehen und wo europarechtlich Grenzen gezogen werden, ist festgefahren. Bedauernswert, aber nicht überraschend ist daher, dass der neue Gesetzesentwurf nicht etwa den im Koalitionsvertrag aufgezeigten Gestaltungsspielraum nutzt, sondern sich mit der – angeblichen – Umsetzung der Arbeitszeiterfassungsentscheidung des BAG (Bundesarbeitsgericht) aus September 2022 begnügen will.
Der Entwurf sieht in der Hauptsache eine umfangreiche Neugestaltung des bestehenden § 16 ArbZG (Arbeitszeitgesetz) vor. Wo bisher im Kern geregelt war, dass Arbeitgeber die arbeitstäglich über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen haben, implementiert der Entwurf nun umfassende Regelungen zu Art und Weise der Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten. Daneben werden in § 22 ArbZG neue Regelungen zu Bußgeldtatbeständen aufgenommen. Analog zum ArbZG wird auch das JArbSchG (Jugendarbeitsschutzgesetz) angepasst.
Der Entwurf verpflichtet zur tagesaktuellen und elektronischen Arbeitszeiterfassung. Abweichungen hiervon sind nur in eng definierten Ausnahmefällen möglich. Die Aufzeichnungen über die Arbeitszeit müssen für zwei Jahre aufbewahrt werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber diesen über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren. Verstöße gegen diese Pflichten sind bußgeldbewehrt.
Die Arbeitszeiterfassung muss grundsätzlich elektronisch und am Tag der Arbeitsleistung erfolgen. Warum eine tagesaktuelle Aufzeichnung geboten ist, begründet der Entwurf nicht zufriedenstellend. Weder europarechtlich, noch nach den Vorgaben des BAG ist eine solch strenge Handhabung erforderlich. Warum es für die vom EuGH (Europäischer Gerichtshof) geforderte Manipulationssicherheit zwingend einer elektronischen Erfassung bedarf, wird ebenfalls nicht beantwortet.
Laut Entwurf ist der Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitszeitnachweise für mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber diesen – in Papierform oder durch Überlassung einer elektronischen Kopie – über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren. Hierdurch wird der vom EuGH geforderten Zugänglichkeit des Erfassungssystems Rechnung getragen.
Die Arbeitszeit ist grundsätzlich vom Arbeitgeber zu erfassen. Er kann aber auch Dritte damit beauftragten – etwa im Fall von Arbeitnehmerüberlassung den Entleiher – oder die Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer selbst erfassen lassen. Gleichwohl bleibt der Arbeitgeber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich.
Der Entwurf sieht gestaffelte Übergangsfristen für größere, mittlere und kleine Unternehmen vor. Diese beziehen sich jedoch einzig auf die Möglichkeit, vorerst für einen begrenzten Zeitraum händisch, d.h. in nichtelektronischer Form aufzeichnen zu können. Die Pflicht zur vollständigen Arbeitszeiterfassung gilt flächendeckend. Nur in wenigen Ausnahmefällen darf dauerhaft in nichtelektronischer Form aufgezeichnet werden (Hausangestellte, Kleinbetrieb mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern).
Das ArbZG findet keine Anwendung auf Leitende Angestellte, sodass diese auch nicht von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden. Das BAG hatte noch mit dem ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) argumentiert, das auch Leitende Angestellte einbezieht.
Diese Frage wird nicht eindeutig beantwortet – der Entwurf ist widersprüchlich. Einerseits sollen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst erfassen und Arbeitgeber auf die Kontrolle verzichten dürfen, andererseits muss der Arbeitgeber gleichwohl „durch geeignete Maßnahmen sicher[zu]stellen“, dass ihm „Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden“. Wie das funktionieren soll, sagt der Entwurf nicht. Bei Vertrauensarbeitszeit entsteht für den Arbeitgeber daher schnell ein Bußgeldrisiko – auch wenn er den Arbeitnehmer ordnungsgemäß instruiert.
Nein. Das Gesetz gilt auch für diese Arbeitsplätze, jedenfalls im Inland. Der Wunsch vieler Arbeitnehmer, flexibel zu arbeiten und so Arbeit und Beruf bestmöglich in Einklang zu bringen, dürfte aufgrund der derzeit vorgesehenen ausnahmslosen Aufzeichnungspflicht schwer zu realisieren sein.
Theoretisch sieht der Entwurf Abweichungsmöglichkeiten sowohl von der elektronischen als auch der tagesaktuellen Erfassungsweise vor. Dies jedoch nur in eingeschränktem Rahmen und ausschließlich in einem Tarifvertrag oder – bei expliziter Öffnung durch Tarifvertrag – in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung. Individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind damit genauso wenig möglich wie Regelungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in tariffreien Betrieben.
Der Entwurf stellt Verstöße unter das Ordnungswidrigkeiten- und Strafbarkeitsregime des ArbZG. Damit drohen Bußgelder bis zu 30.000 Euro, Gewinnabschöpfung und die Möglichkeit einer Strafbarkeit. War das Aufdeckungsrisiko bei Arbeitszeitverstößen bisher eher gering, dürfte sich dies bei Inkrafttreten des Gesetzes ändern, da Arbeitsschutzbehörden aber auch die Sozialversicherungsträger (Stichwort: Überstunden) oder der Zoll (Stichwort: Mindestlohn) aufgrund der umfassenden Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten erleichtert kontrollieren können. Eine unzureichende Arbeitszeit-Compliance dürfte vor diesem Hintergrund zukünftig noch riskanter werden. Geschäftsführern und Vorständen droht ein akutes Haftungsrisiko.
Aus unserer Sicht wirft der Entwurf mehr Fragen auf, als dass er bestehende Probleme löst. Die von den Koalitionsparteien ursprünglich ins Auge gefasste Flexibilisierung der Arbeitszeit wird vollständig verfehlt. Im Gegenteil wird das bestehende Arbeitszeitrecht noch starrer. Von der Möglichkeit, Bereichsausnahmen zu schaffen, wurde leider praktisch kein Gebrauch gemacht.
Auch wenn es sich um den ersten Entwurf handelt, das Gesetz also wahrscheinlich nicht in genau dieser Form verabschiedet werden dürfte, so ist die Richtung doch zumindest klar. Der Entwurf sollte Unternehmen daher bereits jetzt dazu animieren, ihre Arbeitszeit-Compliance auf den Prüfstand zu stellen. Wo fallen Arbeitszeitverstöße gehäuft an und wie können Arbeitszeitmodelle so gestaltet werden, dass Arbeitszeitspitzen abgebaut bzw. vermieden und Arbeitsabläufe gleichwohl effizient aufrechterhalten werden können. Eine solche Prozessanalyse ist aufwendig, dürfte sich aber gleichwohl lohnen. Denn die vorgesehenen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten führen im Falle einer Prüfung zu erheblichen Risiken – arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlich – da Arbeitszeitverstöße nun sämtlich „aktenkundig“ sein werden.
Es wird spannend zu beobachten, welche Änderungen der erste Entwurf des Gesetzes noch erfahren wird. Wir sind im Austausch mit Politik, Unternehmen und Verbänden und halten Sie auf dem Laufenden.
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