26. Januar 2023
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Kurzfristige Änderung im Dienstplan, spontane Mitteilungen an den Arbeitnehmer: Müssen Beschäftigte nach Beendigung ihrer Arbeitszeit ihre dienstlichen Nachrichten in der Freizeit beantworten? Nein, entschied – zumindest – das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 27. September 2022 (Az. 1 Sa 39 öD/22).
Im vorliegenden Rechtstreit ging es um einen angestellten Notfallsanitäter, bei dem die wöchentliche Arbeitszeit zzgl. Bereitschaftsdienstzeiten 48 Stunden betrug. In einer für den Betrieb, in dem der Notfallsanitäter beschäftigt war, geltenden Betriebsvereinbarung wurde festgelegt, dass die Notfallsanitäter auch zu Springerdiensten verpflichtet werden können, z. B. bei einer kurzfristigen Erkrankung eines Mitarbeiters. Gemäß einer Regelung der geltenden Betriebsvereinbarung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer am Vortag bis spätestens 20.00 Uhr darüber informieren, dass er als Springer tätig sein soll. Zudem haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, im Internet den aktuellen Dienstplan im Intranet einzusehen.
Der Notfallsanitäter war – jeweils in seiner Freizeit – in zwei Fällen sowohl telefonisch als auch per SMS bzw. per E-Mail für seinen Arbeitgeber nicht erreichbar gewesen. Der Arbeitgeber wollte auf diese Weise eine kurzfristige Dienstplanänderung, die er gemäß der geltenden Betriebsvereinbarung vorgenommen hatte, kommunizieren. Laut dieser Änderung hätte er seinen Dienst am kommenden Tag um 6.00 Uhr morgens antreten sollen. Stattdessen meldete er sich wie ursprünglich geplant, erst um 7.30 Uhr zur Arbeit. Der Arbeitgeber hatte bereits einen Kollegen aus der Rufbereitschaft geholt. Er wertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog die Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. Zudem erteilte er ihm für sein Verhalten zunächst eine Ermahnung und als es zu einem weiteren, ähnlichen Vorfall kam, auch eine Abmahnung.
Mit seiner Klage macht der Notfallsanitäter die Nachzahlung des vorenthaltenen Lohns und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte geltend. Er sei nicht dazu verpflichtet, sich während seiner Freizeit zu informieren, wann er zu arbeiten habe. Er habe daher auch nicht die Nachrichten während seiner Freizeit gelesen.
Der Arbeitgeber hingegen ist der Auffassung, dass die Veranlassung zu den Springerdiensten von seinem Direktionsrecht gedeckt sei. Dem Mitarbeiter sei es auch zuzumuten, sich über seine Dienstzeiten zu informieren. Dies stelle keine Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne dar. Die Informationspflicht bestehe als arbeitsvertragliche Nebenpflicht.
Das Landesarbeitsgericht gab dem Notfallsanitäter in allen Punkten recht. Zwar hatte der Arbeitgeber mit seiner Änderung des Dienstplans sein Direktionsrecht in zulässiger Weise ausgeübt. Die Änderung müsse dem Mitarbeiter aber auch entsprechend zugehen. Dies ist vorliegend nicht geschehen und daher ihm gegenüber auch nicht wirksam geworden. Ein Mitarbeiter sei nicht verpflichtet, in seiner Freizeit Änderungen des Dienstplans zu prüfen. Zudem müsse er weder einen Telefonanruf seines Arbeitgebers entgegennehmen, noch eine SMS lesen. Das Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dem Persönlichkeitsschutz. Denn selbst über seine Freizeit entscheiden zu können, gehöre zu den „vornehmsten Persönlichkeitsrechten“, so die Richter des Landesarbeitsgerichts. Bei dem Lesen einer dienstlichen SMS oder dem Lesen des Dienstplans im Internet handele es sich um eine „Arbeitsleistung“, zu der der Arbeitnehmer in seiner Freizeit nicht verpflichtet sei. Nehme er eine Änderung des Dienstplans während seiner Freizeit nicht zur Kenntnis, gehe ihm diese formal daher erst bei Dienstbeginn, vorliegend um 7.30 Uhr des Folgetages, zu. Da der Notfallsanitäter seine Arbeitsleistung angeboten habe, der Arbeitgeber diese aber nicht rechtzeitig angenommen habe, sei der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die Abmahnung müsse aus der Personalakte entfernt werden, so die Richter.
Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt zunächst klar, dass Arbeitnehmer ein Recht auf Nichterreichbarkeit in ihrer Freizeit haben. Dies wird neben dem Gesundheitsschutz auch mit dem Persönlichkeitsschutz eines jeden Arbeitnehmers, das heißt der freien Entfaltung persönlicher Interessen, begründet. Für Arbeitgeber stellt sich nunmehr die Frage, ob sie ihre Einsatzpläne im Einklang mit dem Urteil überhaupt noch kurzfristig ändern können. Dies hat insbesondere auch Auswirkungen für Arbeitgeber, die eine mitbestimmten Personaleinsatzplanung haben und bei denen sich ein kurzfristiger Bedarf an Änderungen ergibt.
Da das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung jedoch auf den Zugang abstellt, dürfte die Entscheidung der Richter bzw. die ihr zugrundeliegenden Entscheidungsgründe aber auch gewisse Risiken für Arbeitnehmer bereithalten, wenn der Arbeitgeber im Nachgang beweisen kann, dass die Änderung des Dienstplans oder jedwede andere spontane Mitteilung außerhalb der Arbeitszeit zugegangen ist, z.B. durch die Annahme eines Anrufs des Arbeitgebers und eine Verweigerung des Dienstes oder durch eine Verweigerung des Dienstes per SMS oder E-Mail. Denn ob Arbeitnehmer einer Weisung folgen müssen, von der sie in der Freizeit Kenntnis erlangen, wurde im vorliegenden Fall nicht entschieden.
Ferner können sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Ausnahmen von den o.g. Entscheidungsgründen ergeben, wenn Arbeitnehmer eine besonders verantwortungsvolle Position (z.B. Führungskräfte) innehaben. In diesem Fall kann von einem Arbeitnehmer durchaus erwartet werden, dass er in „Notfällen“ auch während seiner Freizeit E- Mails beantwortet oder auf anderem Wege für seinen Arbeitgeber erreichbar ist. Dies gilt auch im Falle von Urlaubszeiten.
Im Ergebnis wird es wohl auf eine Einzelfallbetrachtung ankommen müssen, ob ein Arbeitgeber tatsächlich mit einer fehlenden Erreichbarkeit seines Arbeitnehmers in der Frei- und Urlaubszeit rechnen muss oder ob der Arbeitnehmer auch in diesen Zeiten einer arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme unterliegt. Denn die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit oder dem Verlassen des Betriebsgeländes, sondern gilt auch während der Freizeit und damit bei Freizeitaktivitäten fort. Diese Ausstrahlung von arbeitsvertraglichen Pflichten auf das private Verhalten von Arbeitnehmern führt häufig zu unterschiedlichen Lebenssachverhalten, die sich entweder als gerechtfertigtes Verhalten oder als sanktionsrelevante Pflichtverletzung darstellen können. Hierbei dürfte auch – wie so häufig – auf die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall abzustellen sein.
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