Eine jüngere Entscheidung des OLG Hamburg (Urteil vom 11.03.2011 – 6 U 81/19, abgedruckt in RdTW 2021, S. 477 ff.) gibt Anlass, sich noch einmal Grundstrukturen und Besonderheiten der transportrechtlichen Haftung vor Augen zu führen. Im entschiedenen Fall führte ein Sturm zu Schäden an Transportgut und nahm der Versicherer der geschädigten Versenderin einerseits die Frachtführerin in Anspruch, in deren Obhut diese die Sendung zum Seetransport übergeben hatte, und andererseits das Unternehmen, welches auf dem Nachbargrundstück Container so gestapelt hatte, dass diese aufgrund des Sturms auf das Transportgut kippten und dieses erheblich beschädigten.
Grundlagen
Bekanntlich ist das Haftungsregime des Transportrechtes durch im Wesentlichen zwei Besonderheiten geprägt: die eine ist die verschuldensunabhängige Obhutshaftung des Frachtführers, die andere ist die regelmäßige Begrenzung seiner Haftung der Höhe nach, durch Gesetz oder noch weitergehend durch Bedingungswerke wie zB die ADSp. Diesem harten Regime setzt das deutsche Frachtrecht jedoch dadurch Grenzen, dass es in § 427 HGB besondere Haftungsausschlüsse normiert (zB mangelhafte Verpackung durch den Versender oder schadensgeneigte „Natur“ des Gutes). Weiter normiert § 426 HGB eine allgemeine Haftungsbefreiung, wenn der Schaden auf Umständen beruht, die der Frachtführer auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Die Anforderung „größter Sorgfalt“ hat die Figur des „idealen Frachtführers“ hervorgebracht (zB Koller, Transportrecht, 10. A., Rz. 4 zu § 426 HGB). „Ideal“ im Sinne der Vorschrift handelt nur ein Frachtführer, der erheblich überdurchschnittlich sorgfältig handelt und Umsicht im Rahmen des Menschenmöglichen walten lässt.
Sachverhalt (vereinfacht)
Die Versenderin beauftragte die Beklagte zu 1) mit dem Seetransport einer in zwei Kisten verpackten gebrauchten Maschine im Wert von ca: EUR 80.000 nach Indien zu fixen Kosten. Diese übernahm die Sendung und übergab sie ihrer Erfüllungsgehilfin, der Nebenintervenientin, zum Verstauen in einem Container und zum anschließenden Transport zum Seeschiff. Die Nebenintervenientin stellte die größere der beiden Kisten an der Grenze ihres Betriebsgeländes ab. Auf dem Nachbargrundstück der Beklagten zu 2) waren kurz hinter der Grundstücksgrenze in fünf Lagen Container gestapelt. Noch am Tag der Übernahme der Sendung durch die Nebenintervenientin, am 4.12.2013, warnte die HPA (Hamburg Port Authority) vor einem herannahenden Sturmtief. In der Nacht auf den 6.12.2013 wurde durch den Sturm „Xaver“ ein Containerstapel auf dem Grundstück der Beklagten zu 2) umgeworfen und ein Container beschädigte die nahe der Grundstücksgrenze auf dem Gelände der Beklagten zu 1) abgestellte Kiste. An der Sendung entstand ein Güterschaden von mehr als EUR 50.000.
Der Versicherer der Versenderin nahm daraufhin die Beklagte zu 1) aus Frachtvertrag und die Beklagten zu 2) deliktisch aus Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten in Anspruch. Beide Klagen waren im Ergebnis erfolgreich.
Die Entscheidung des OLG Hamburg
Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Entscheidung des 6. Senats zu Ansprüchen des Versicherers gegen die vertragliche Frachtführerin (die Beklagte zu 1)), die sich unter anderem darauf berief, dass ein Haftungsausschluss gemäß § 426 HGB begründet sei. In Konkretisierung der Anforderungen an einen idealen Frachtführer wies der Senat diese Verteidigung zurück, in Übereinstimmung mit der vorherigen landgerichtlichen Entscheidung. Dabei legte der Senat seiner Entscheidung Landfrachtrecht zugrunde, da hier ein Multimodaltransport (über Teilstrecken mit unterschiedlichen Haftungsregelungen) vereinbart war und der Schaden – insoweit unstreitig – auf einer Teilstrecke eingetreten war, auf die gesondert betrachtet, Landfrachtrecht Anwendung finden würde (§ 452a HGB). Die Beklagte zu 1) konnte sich also weder auf die seefrachtrechtlichen Haftungserleichterungen berufen, noch auf Haftungsbegrenzungen nach den ADSp (hier der Fassung aus dem Jahre 2003). Letztere waren nicht ausdrücklich vereinbart und der Senat erteilte ihrer Geltung qua Verkehrssitte als „fertig bereitliegende Rechtsordnung“, insoweit nicht überraschend, eine klare Abfuhr (OLG Hamburg, RdTW 2021, S. 480).
Bemerkenswert ist aber die Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen des OLG an den „idealen Frachtführer“ im Sinne des § 426 HGB, die daher hier auszugsweise wörtlich wiedergegeben werden soll: „Maßgeblich ist das Verhalten eines idealen Frachtführers, der eine über die schon gemäß § 276 Abs. 2 BGB, § 347 HGB gebotenen normalen Sorgfaltsanstrengungen erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein im Rahmen des Menschenmöglichen geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Verhalten an den Tag legt und dabei insbesondere auch Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden, auch soweit diese ihren Ursprung nicht in seinem Organisationsbereich haben.“ (ebd., S. 479). Der ideale Frachtführer hat damit nicht nur Vorkehrungen mit Blick auf Naturgewalten zu treffen, sondern auch deren indirekte Auswirkungen zu besorgen, hier also ihre Auswirkungen auf den Containerstapel auf dem Nachbargrundstück und Folgen derselben für das in seiner Obhut befindliche Gut. Konkret meint das OLG, die beklagte Frachtführerin hätte einen anderen Lagerplatz finden müssen (ggf. auf einem anderen Gelände oder sogar bei Dritten) oder Rücksprache mit dem Nachbarn halten müssen um sicherzustellen, dass von dort keine Gefahr für die Sendung drohte. Jeder Frachtführer habe alle Anstrengungen zur Schadensverhütung bis hin zu dem Punkt zu erbringen, an dem diese bereits auf den ersten Blick als unzumutbar erscheinen (ebd.). Nur wenn diese fehlschlagen, kann von einem unabwendbaren Ereignis im Sinne des § 426 HGB ausgegangen werden.
Auf die Frage, ob hier auch ein qualifiziertes Verschulden der Frachtführerin vorlag, kam es nicht an, weil der Schaden, auf deren Ersatz der Versicherer die Beklagten zu 1) in Anspruch genommen hatte, den Betrag der Haftungsbegrenzung nach § 431 Abs. 1 HGB (8,33 SZR je kg Rohgewicht der beschädigten Sendung) nicht erreichte.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
Praxishinweis
Auch wenn der vom OLG Hamburg entschiedene Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht sehr besonders ist, gibt er Frachtführern Hinweise, wie weit ihre Sorgfaltspflichten im Rahmen der transportrechtlichen Obhutshaftung gehen. Versendern (und deren Versicherern) zeigt das Urteil auf, dass die Berufung eines Frachtführers auf ein unabwendbares Ereignis zur Zurückweisung seiner Haftung jeweils hinterfragt werden sollte, da die Anforderungen daran und an die zu übende Sorgfalt auch jenseits des eigenen Organisationsbereiches eines Frachtführers bemerkenswert hoch sind.